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Oberbayern
Olympisches Radrennen
1972, vor 50 Jahren, fanden in München die Olympischen Spiele statt. Teil des Sportprogramms war das Straßenradrennen, das südlich von München stattfand. Die Tour entspricht in weiten Teilen dem damaligen Rundkurs. In den Luftkur- und Lustspielorten am Isarhochufer ging es olympisch mit dem Rad und weltmeisterlich in der Liebe zu. Heute eine aussichts- und geschichtsreiche Landpartie in Süden Münchens auf alten Bahntrassen
Die bis dahin „heiteren Spiele“ wurden durch das Attentat der palästinensischen Terroristen auf schockierende Weiser ihrer Leichtigkeit beraubt. Zwei Tage nach diesem Massaker am 7.9.1972 bei dem die bayerische Polizei alles andere als eine „bella figura“ machte, fand das olympische Straßenradrennen der Herren statt. Start war ironischerweise die heutige Polizeidirektion 23 in Grünwald. Wenige Kilometer südlich auf der olympischen Radstrecke duplizierten sich die Ereignisse: hier bei Kilometer 16 fand am 9.7.1986 der von der RAF verübte Mordanschlag auf den Atomphysiker Karl-Heinz Beckurts und dessen Chauffeur statt. Ein Gedenkstein erinnert heute daran.
 
163 Teilnehmern nahmen an dem Rennen über 8 Runden á 22,8 km (= 182,4 km) teil. Die Strecke verlief über Straßlach nach Beigarten. Dort über die Isar und nach Schäftlarn und weiter nach Pullach, von wo es über Isar wieder nach Grünwald ging. Nicht der Sieger sollte bei diesem Rennen im Gedächtnis bleiben, sondern der drittplazierte Spanier. Er war einer der wenigen überführten Dopingsünder und wurde nachträglich disqualifiziert. Seine Bronzemedaille wurde nicht neu vergeben.
 
Dem Ziel Grünwald nähert sich diese Tour in entgegen gesetzter Richtung zu der historischen Rennstrecke. Der Weg führt vom schön restaurierten Isartalbahnhof in Geiselgasteig entlang den schwer bewachten ehemaligen Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) und dem Naturerlebniszentrum Burg Schwaneck zur Ortsmitte von Pullach. Dort im Bürgerhaus befindet sich das Cafe Treibhaus mit seiner weitläufigen Terrasse und einem der spektakulärsten Blicke auf die Isar. Doch wer jetzt schon einkehrt, kommt nie ans Ziel. Also am Isarhochufer weiter auf der Trasse der ehemaligen Isartalbahn (heute S-Bahn) nach Buchenhain, dessen Biergarten man sich aus gleichen Gründen für ein späteres Wiedersehen aufspart und von dort auf dem Radweg nach Hohenschäftlarn.
 


Isarstrand © Hans-Jürgen Hereth 2023

Kloster Schäftlarn © Hans-Jürgen Hereth 2023
Die olympischen Herren Rennradler kamen hier am Bahnübergang das Hochufer hoch. Über die Isarbrücke, an Kloster Schäftlarn vorbei zur Isar sind sie diesen Anstieg hochgeflogen. Unten am Isarstrand hat 1912, 60 Jahre vorher, Franziska von Reventlow textilfrei sonnengebadet. Für 80 Pfennige hatte sie sogar im Kloster eine Bleibe, für sich und ihr „Göttertier“, ihren unehelichen Sohn Rolf gefunden, wenn auch nur für eine Nacht. Die Quartiersuche vor Ort gestaltete sich wegen ihres sozialen Status, ihres Geldmangels und den häufigen Männerbesuchen schwierig. Ihr wurde nachgesagt einen Liebhaber im Bett und sechs andere im Sinn gehabt zu haben. Aber vielleicht war dies auch nur dem Neid geschuldet.

Flowers from the bauers © Hans-Jürgen Hereth 2023
Blieb „die Gräfin“ eine lokale Berühmt-Berüchtigtkeit in Hohenschäftlarn, so hat es ein anderes Liebespaar am Ort zu Weltruhm geschafft. 1920 mieteten sich das Schriftstellerehepaar Franz und Helen Hessel und der mit ihnen befreundete Literat Henri-Pierre Roché in der dortigen „Villa Heimat“ ein. Hieraus entwickelte sich eine der skandalträchtigsten, spektakulärsten „ménage á trois“ der Weltliteratur. Alle drei Beteiligten gaben ihrer dortigen „dreieckigen“ Liebesbeziehung literarische Form. Einzig das Buch von Roché „Jules und Jim“ wurde bekannter, umso mehr als es als Vorlage für den gleichnamigen Filmklassiker von Francois Truffaut diente.
 
Jetzt nur nicht vor lauter Gedankenkino die Orientierung verlieren. In Höhenschäftlarn die Straße bis zur Kirche hochfahren und dort einen ersten „Überblick“ genießen. Dann links der Straße durch die Wohnhäuser folgen, bis es auf der Straße nach einer scharfen Linkskurve nach Zell hinunter geht. Hier in Gerhard Hauptmann Weg befindet sich ein Sanatorium wie es Thomas Mann auch in Davos hätte finden können.

eiserne Protagonisten © Hans-Jürgen Hereth 2023
Schon 1905 eröffnet in der Ortschaft Ebenhausen ein Sanatorium mit „Lufthütte“, das viele Prominente wie den Großadmiral von Tirpiz, die Ehefrau des Nobelpreisträgers Gerhard Hauptmann oder Dichter wie Rainer Maria Rilke anzog, um sich hier vor den krankmachenden Bedingungen der Großstädte zu erholen. Georg Zech, ein Leipziger Gastronom zweier Paulaner-Gaststätten war einer von ihnen. Ihm gefiel es am Isarhochufer so gut, dass der sich 1910 eine Villa (in der heutigen Zechstraße) direkt neben dem Sanatorium errichten ließ. Sie diente nicht nur seiner Familie als Domizil. Einige seiner Zimmer betrieb er als Pension, um auch Familienmitgliedern der Sanatoriumsgäste eine angenehme „Behausung“ bieten zu können. Noch heute prägt die Villa mit weiteren 40 Denkmälern „das Wesen und die Seele des Ortes“.
 
Nicht nur am Starnberger See, sondern auch hier am Isarhochufer mit seinem sensationellen Weitblick auf Wilden Kaiser über die Benediktenwand zum Karwendelgebirge haben sich im 19. JH Privilegierte und Adelige einen Rückzugsort geschaffen. Von den einstigen 3 Schlössern, in denen u.a. Paul Heyse residierte, ist aber nur noch das 1842 erbaute neugotische Fischerschlösssl erhalten.
 
Ende des letzten Jahrhunderts haben hier nicht einmal 50 Menschen gewohnt. Mit dem Bau der Isartaleisenbahn war eine kurze Landpartie für die Erholung suchenden Münchner ohne großen Aufwand möglich. 1892 nutzen am Pfingstsonntag 20.000 Großstädter diese Möglichkeit für einen Ausflug ins Grüne. Wie die einheimische Bevölkerung damit umgegangen ist, ist nicht überliefert. Proteste und Straßensperren wie es sie am Schliersee, Tegernsee und Walchensee 2020 gegeben hat, sind eher unwahrscheinlich. Willkommen gewesen waren die „Stadtarer“ aber nicht wirklich. Sie trampelten über die Wiesen, verschreckten das Vieh, machten das, was Mensch und Tier eben so  machen und verteuerten zudem das Bier.

Sanatorium in Zell © Hans-Jürgen Hereth 2023

Holerhaus © Hans-Jürgen Hereth 2023
Am Friedhof führt die wenig befahrene Straße weiter nach Irschenhausen. Jetzt erfährt man was ein sensationeller Panoramablick ist. Schöner geht es eigentlich kaum. Die Straße führt direkt zur Wirtschaft Rittergütl mit schönen Biergarten und ebensolchen Ausblick. Kurz danach zweigt der Neurieder Weg ab, der nach kurzen Anstieg zum Hollerhaus führt.
 
Leicht oberhalb am Bergkamm haben sich weitere „Liebesnester der Weltliteratur“ befunden haben. Eines davon ist das in der Seeleite gelegene „Schweizerhäuschen“ von Edgar Jaffé. Hier verbrachten der englische Schriftsteller D. H. Lawrence und Frieda Weekly, geborene von Richthofen, Schwägerin von Jaffé einen stürmischen Sommer. Lawrence hat diese Zeit in „Mr. Noon“ beschrieben. Für weit aus mehr Aufsehen hat dagegen sein diese Beziehung aufzeichnender Roman „Lady Chatterley“ von 1928 gesorgt. Es gilt als eines der ersten seriösen Werke der Weltliteratur, in dem menschliche Sexualität detailliert und ausdrücklich dargestellt wurde. Weithin bekannt wurde er aber erst 1960 durch einen in Großbritannien angestrebten „Obszönitätsprozess“, in dem versucht wurde, das Buch wegen seines scheinbar aufrührerischen, skandalösen, vulgären und pornographischen Inhaltes zu verbieten. Sex sells, die Medien freuten sich und alle anderen hatten ihren Aufreger. Verboten wurde es übrigens dann doch nicht.
 
Im Neufahrner Weg hatte der Maler Adolf Erbsöh sein Haus, auch der Lebensgefährte von Lena Christ, der sie später mit Zyankali für ihren Selbstmord versorgte, lebte dort. Im nahe gelegenen Haus Schönblick hatte Rilke im September 1914 gerade seine Koffer gepackt und wollte abreisen. Draußen traf er Lou Albert-Lazard, worauf sich folgender Dialog entwickelt haben soll: „Gnädiges Fräulein, ich habe Sie in Paris gesehen“ „Das kann sein. Dann sind sie Rilke?“. Er packte seine Koffer wieder aus und hatte mit ihr eine zweijährige amour fou. Eine weitere berühmte damalige „Absteige“ war das „Hollerhaus“. Heute ist dort eine Galerie und Buchhandlung untergebracht, in der Ausstellungen, Lesungen und Konzerte veranstaltet werden. Wenn man mehr über Liebe und Literatur im Isartal erfahren will, ist man hier an der richtigen Adresse. Otfried Fischer diente es für„sein“ Wohnhaus für den „Bulle(n) von Tölz als Filmkulisse..

Dorfen © Hans-Jürgen Hereth 2023
Zurück auf der Straße folgt man deren Verlauf nach Waldhausen, wo es von der Fahrtseite aus unbeschildert nach Walchstadt links abgeht. Entweder man folgt dort dem Straßenverlauf nach Dorfen oder biegt in Walchstadt links (roter Briefkasten) auf einen Kiesweg mit Querrippen ein, der den Hang ein Stück hinabführt. Hier, auf dem Eggenberg führte Eugenio Pacelli, der Hausarzt Thomas Manns, ein offenes Haus. Im nicht weit entfernten Glasenfeld vor Dorfen steht noch eine alten Pestsäule. Vor der B11 führt der Weg weiter durch Wiesen und Felder nach Dorfen. Oberhalb der Kirche St. Johannes führen beide Wege wieder zusammen. Außer ein paar Radfahrern ist auf dem Wegverlauf bis Dorfen eigentlich nichts los.
 
Früher war das anders, als der Maler, Lebensreformer und „Altkommunarde“ Karl Wilhelm Diefenbach nach seiner Vertreibung aus dem Steinbruch in Höllriegelskreuth hier ein Unterkommen für seine zahlreiche Familie und Anhängerschaft gefunden und die entsetzte Landbevölkerung ganz schön durcheinander gebracht hatte.

Icking Bauernhaus © Hans-Jürgen Hereth 2023

Icking Gymnasium © Hans-Jürgen Hereth 2023
Es ist enorm beruhigend, dass es trotz der Gentrifizierung in dieser Ecke noch genügend Menschen gibt, die „das Alte“ zu schätzen wissen. So viele gut erhaltene alte Bauerhäuser und Sommersitze gibt es sonst nicht in dieser Dichte. Und die Neubauten fügen sich wie in Irschenhausen meist harmonisch in das Gesamtensemble ein.
 
Ging es bisher eher mäßig bergauf, geht es jetzt rasant zur Loisach bei Weidach hinab. Doch anders als in Schäftlarn kann man das Rad nicht frei laufen lassen. Die U-Turns sind ziemlich eng und der Gegenverkehr schneidet auch gerne mal die Kurve. Also Vorsicht. Unten angekommen gelangt man zur weniger bekannten Floßlände in Wolfratshausen, der der Loisach. Folgt man der Straße durch die Altstadt, kommt man am Humplbräu vorbei, direkt neben der Kirche gelegen, wie es sich für eine Wirtschaft gehört. Jetzt auf halber Strecke kann man sich schon einmal dem Gedanken an eine längere Pause hingeben.
 
Am Ende der Straße führt der Weg links über die Loisachbrücke, am Bahnhof vorbei stadtauswärts zur nächsten Floßlände. Hier an der Isarbrücke starten im Sommer die musikalisch untermalten Ausflugsfahrten der Flöße. Was früher eine schiere Notwenigkeit mit festen Fahrzeiten war, ist heute nur noch eine „feuchte“ Gaudi.
 
Gleich nach der Isarbrücke führt die Straße links am Gasthof Aujäger vorbei in die Pupplinger Au. Kurz danach verzweigt sich die Straße. Beide führen zur Fischzucht Aumühle, bei der man in einem kleine Gasthaus die frisch gefangenen Forellen und Saiblinge essen kann. Auf der anderen Seite der Fischteiche führt eine schmale Straße das Isarhochufer hinauf nach Denning. Der Weg von der Aumühle den Berg rauf ist happig. Das sind 18% auf einer Forststraße, die für Normalradler eigentlich nicht zu fahren ist. Also schieben. Dafür geht es bis Deining wieder ein Stück den Berg runter. Links auf die Hauptstraße und bei der nächsten Abzweigung rechts Richtung Deininger Weiher. Alternativ auf weniger steilen Gelände rechts vom Aujäger den Radweg neben der Bundesstraße benutzen, bis es links durch den Golfplatz, vorbei an der Keltenschanze nach Ergertshausen geht. Dort wieder links nach Sachsenhausen. Nach ca. 2 km trifft man wieder auf den steilen Anstieg von der Aumühle.

bella vista © Hans-Jürgen Hereth 2023

Stra0lach Denkmal für Beckurts © Hans-Jürgen Hereth 2023
Die Straße endet am Gasthof Zur Post in Denning. Der olympische Weg würde hier weitergehen. Da die Straße jedoch gewöhnlich stark befahren ist, zweigt man wenig später rechst nach Kleindingharting ab. Zunächst ist man über die Vielzahl der entgegen kommenden Radfahrer verwundert, nach einer guten Viertelstunde klärt sich dies aber schnell. So lange nämlich geht es stramm bergauf. Oben an gekommen befindet am sich auf der Ludwigshöhe, die ihren Namen wegen der dortigen, angeblich von König Ludwig I. beauftragten Allee erhalten hat. Wenn man sich umdreht und den gefahrenen Weg betrachtet, ist man nicht mehr verwundert über den 2-Rad Verkehr. Wie auf der Isar-Gegenseite ist dies einer der „bella vista“ auf die Voralpen. Wer möchte, kann noch einen kleinen Abstecher rechts an den Deiniger Weiher unternehmen.
 
Von der Ludwigshöhe aus geht es nun stetig bergab. Über Großdingharting gelangt man nach Straßlach, das seinen Namen aus der Verbindung der alten Wortbedeutungen Straz für die dort verlaufenden Römerstraße Via Julia und Loh für Wald erhielt. Jetzt ist man wieder auf olympischen Terrain. Der Radweg verläuft parallel zur Bundesstraße und führt nach Grünwald, an dessen zentraler Kreuzung es links zur Isar und auf dem Gegenhang zum Ausgangspunkt zurückgeht.
 
Sehenswürdigkeiten: Kloster Schäftlarn, Isartalbahnhöfe, Floßlege Wolfratshausen, Burg Grünwald
Einkehrmöglichkeiten: Wolfratshausen Humplbräu, Irschenhausen Rittergütl, Pullach, Cafe Treibhaus, Gaststätte und Biergarten Buchenhain, , Gasthof Aumühle, Gasthof Aujäger, Denning, Gasthof Post
Baden: Deininger Weiher, Isar
 

Burg Grünwald © Hans-Jürgen Hereth 2023