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Oberbayern
Thomas Bernhard
Auf den Spuren des großen Grantlers Thomas Bernhard

In Traunstein hat er die „Vorhölle“ seiner Jugend verbracht, unterbrochen von wenigen Lichtblicken bei seinem Großvater oben in Ettendorf. Da war der Ort auch schon weit entfernt von seiner glorreichen Zeit als Salinenstadt. Für die Einen traurig und tragisch, für den heutigen Besucher ein Genuss
.

Was ist nicht alles über Thomas Bernhard gesagt und geschrieben worden, über seine traumatische Jugend und seine Haßliebe zu Österreich. Seine Jugend hat sich Bernhard in fünf Büchern von der Seele geschrieben und in Österreich dürfen jetzt trotz gegenteiligen testamentarischer Verfügung seine Texte verlegt und aufgeführt werden. Und die Orte seiner kindlichen Schrecken rühmen sich postmortal seiner Anwesenheit.

Bernhard Stiege in Traunstein © Hans-Jürgen Hereth 2023

abgerissenes Wohnhaus © Hans-Jürgen Hereth 2023
Traunstein macht da keine Ausnahme. Der Initiative eines Traunsteiner Lehrers von der hiesigen Realschule, die Bernhard als „Vorhölle“ seiner Jugend empfand, ist es zu danken, daß es auch hier Stadtspaziergänge auf den Spuren Thomas Bernhards gibt. Was als private Spurensuche begann, entwickelte sich zum moderierten Spaziergang von Bernhards Wohnhaus in der Schaumbergerstraße, aus dem seine Mutter zur allgemeinen Erheiterung der Nachbarschaft und zur Demütigung des Kindes das durchgepinkelte Laken des Bettnässers wie eine Fahne aus dem Fenster hing, zum sog. Straßerhof in Ettendorf, in dem sich die bescheidene Wohnung seines geliebten Großvaters, dem spät mit dem österreichischen Staatspreis geehrten Schriftsteller Johannes Freumbichler befand. Beide Gebäude sind mittlerweile abgerissen und haben Platz für Neues gemacht. Längst finden sich trotzdem hierzu nicht nur lokale „Bernhardianer“, sondern auch die Bernhard-Prominenz (Halbgeschwister, von Bernhard verehrte Schauspieler wie Rudolf Wessely u.v.a.) ein. Aber wie schon der „Meister“ selbst in der „Auslöschung“ geschrieben hat: „Hüten Sie sich, die Orte der Schriftsteller und Philosophen aufzusuchen, Sie verstehen sie nachher überhaupt nicht.“ Als ob man ihn vorher besser verstanden hätte.

Eisenbahn Viadukt © Hans-Jürgen Hereth 2023

Ettendorfer Kircherl © Hans-Jürgen Hereth 2023
Nichts desto trotz lässt man sich von den Einlassungen Bernhards nicht abbringen und durchfährt die Schauplätze seiner Jugend in Traunstein: von der Schrödelgasse, in die Schaumberger- und Taubenstraße, den Stadtplatz mit Kirche, die Volksschule in der Rosenheimerstraße, den Ausflugsort Wochinger Eck, die das 1860 erbaute Eisenbahnviadukt über die Traun und weiter flussaufwärts am rechten Hochufer die Ortschaft Ettendorf.
 
Hier oben trifft man noch einen anderen Pilgerzug. Rechts von der Wallfahrtskapelle St. Anna, die sich vornehmlich beim Georgi-Ritten am Ostermontag füllt, der zu Bernhard, links zu Joseph „wir sind Papst“ Ratzingers Jugendhaus. Ob sich die nahezu Gleichaltrigen getroffen haben, ist offen. Blieben doch die Ratzinger-Burschen Georg und Joseph wochentags im Studienseminar St. Michael in Traunstein, während Thomas, so oft er konnte, sich hier oben beim Großvater, seinem „Heiligen vom Ettersberg“, aufhielt. In „Ein Kind“ referiert über diese Zeit. In Ort selbst sind die Prioritäten der Erinnerung an die berühmten „Söhne der Stadt“ eindeutig gewichtet: Der Stolz der Traunsteiner gehört „ihren“ Pabst, unübersehbar repräsentiert mit einer großformatiger Porträtbüste vor der St. Georgs-Kirche. Die zugehörige Tafel mit der Pilgerkarte verweist auf seine Lebensstationen in Traunstein und die nach ihm benannten Wege. Auch Ludwig Thoma ist mit Tafel und als Namenspatron der Schule besser vertreten als der ewige „Nestbeschmutzer“ Thomas Bernhard. Nur mit einer steigen, ungepflegten Stiege zur Unterstadt wird er „gewürdigt“.
 
Die Annehmlichkeiten eines Stadt-Spaziergangs beiseite lassend, begibt man sich auf Bernhard Fluchtweg nach Salzburg. Bernhard wollte 1943 mit dem ganzen Stolz seines Stiefvaters, einem nagelneuen Militärfahrrad, bei Nacht und Nebel vom Ort seiner täglichen Demütigungen zu seinem Onkel Harald Rudolf, gen. Farald, einem in jeder Hinsicht unkonventionellen Handwerker, Kommunist und Erfinder, nach Salzburg fliehen. Doch soweit kam er nicht. Er „schrottete“ das Rad bei Straß und musste die bis hierher gefahrene Strecke zurück nach Traunstein laufen.

Salinenpark © Hans-Jürgen Hereth 2023

Salinenmuseum © Hans-Jürgen Hereth 2023
Vom Volksfestplatz aus gelangt man zunächst zu den markanten Gebäuden des Salinenparks in deren Zentrum die Salinenkapelle St. Rupert und Maximilian steht. Gleich neben dem großen Mühlrad befindet sich auch der Eingang zur Ausstellung "400 Jahre Bad Reichenhall – Traunstein (1619-2019)", ebenso wie Schautafeln zur Vita von Georg Friedrich von Reichenbach, dem deutschen „Watt“, und zu seiner Erfindung der Wassersäulenmaschine.
 
Doch bis zu diesen und zur „des Kurfürsten größtes Friedenswerk“, arbeitete die hiesige Saline schon fast 200 Jahre. Wegen Holzknappheit in Reichenhall wurde 1619 eine Soleleitung nach Traunstein und seinen weiten Wäldern eingerichtet. So entstand unterhalb der Altstadt in der Au mit der Salinenanlage ein industrieller Großbetrieb mit 4 Sudhäusern, dazugehörigen Härt- oder Pfieselhäusern sowie Arbeiterwohnungen, den sog. „Stöcken“, einer eigenen Schule und der Kirche St. Rupert und Maximilian. 120 Arbeiter und 50 Beamte waren in der Anfangszeit dort beschäftigt. Mit den Arbeitern für die Holzgewinnung fanden hier über 1000 Menschen ein Auskommen. Der Salinenbezirk besaß den Rang einer Hofmark, der der herzogliche Salzmaier vorstand. Neben anderen Privilegien übte er auch die niedere Gerichtsbarkeit über das Personal im Bereich der Soleleitung und der Traunsteiner Saline aus. Rund 5000 Tonnen Salz wurden hier jährlich produziert, bei einem durchschnittlichen Jahresbedarf um die 60.000 Festmeter. Der Salinenbilder-Zyklus im Salzmaier-Haus gibt von diesen Produktionsabläufen ein anschauliches Bildnis ab. 1785-87 wurde das Karl-Theodor-Sudhaus mit einer völlig neuen Pfannentechnik errichtet und als 1870 die Pfanne V hinzukam, stieg die Produktion auf das Doppelte. Zu Beginn des 20. JH wurde die Saline unrentabel und deshalb 1912 außer Betrieb genommen. Die Gebäude des ehemaligen Salinenbezirk Au haben sich zum großen Teils bis heute erhalten.
 
Die Salinenstraße führt links eine kleine Anhöhe empor, von der rechts die Maximilianstraße abzweigt, die direkt zum Stadtplatz führt. Dieser erschließt sich über den markanten Oberen oder Brothausturm ist. Links daneben befindet sich die ehemalige Zieglerwirtshausgaststätte im typischen Inn-Salzach-Stil, in dem heute das Museum Heimathaus untergebracht ist. Beide Gebäude sind die einzigen Relikte des Stadtbrandes von 1851.

Jacklturm Traunstein © Hans-Jürgen Hereth 2023
Man verlässt den Stadtplatz über die Straße, die durch den Jacklturm, der 150 Jahre nach seiner Zerstörung 1998 wiederaufgebaut wurde, hindurch führt. Am Ende der kleinen Abfahrt weist der Weg links Richtung Kammer, ebenso wie auf den Radweg nach Ettendorf. An der Traun angekommen folgt man diesen aber zunächst nicht, sondern fahrt noch ein Stück flussabwärts bis zum berühmten Eisenbahn Viadukt. Von hieraus führt die Straße mit einen kräftigen Anstieg nach Ettendorf.

Viele Wege © Hans-Jürgen Hereth 2023

Die Esel vom Achtal © Hans-Jürgen Hereth 2023
Der weitere Weg bis Teisendorf ist als Teilstrecke des Via Julia- oder Jakobsweg, Benediktenweg, Bodensee- und Königsseewegs gut ausgeschildert. Leicht zu fahren ist er aber dennoch nicht. Zwar führen die geteerten Nebenstraßen und Wirtschaftswege tendenziell immer an der Bahnlinie entlang, doch das Gelände ist sehr voralpenländisch. Es geht oftmals stramm bergauf- und ab, bernhardmäßig eben und nicht leicht zugänglich. Vorbei kommt man an Ortschaften wie aus seinen Büchern: Hufschlag, Oed, Geiersnest, Huckling und Thal, das zudem eben auf einer Hügelkuppe liegt. Dafür bieten sich aber schöne Seitenblicke auf die umgebende Landschaft und die Berchtesgadener und Salzburger Berge. Kurz vor Oberteisendorf an einer Brücke vergabeln sich die Wege, leider ohne erneute Richtungsweisung. Gerade aus geht es nach Oberteisendorf. An der querenden Hauptstraße führt eine Straße halb rechts ins Achthal mit seinem Bergwerkmuseum und diversen Künstlerateliers. Das Museum zeigt die Geschichte vom Erzbergbau, seiner Verhüttung und Produktion am Teisenberg. Momentan wird es komplett umgebaut und erst im April 2023 wieder eröffnet. Bis Neukirchen führt der Weg entlang der mit Wehren regulierten und gebändigten Ach stetig bergauf, bis zum Museum jedoch auf neu gebauten Radwegen. Zumindest unter der Woche ist man auch als Radfahrer auf der Straße kein übermäßiges Verkehrshindernis.

Bergbaumuseum Achberg © Hans-Jürgen Hereth 2023

Blick in den Rupertiwinkel © Hans-Jürgen Hereth 2023
Am Ortsbeginn Neukirchen a. Teisenberg befindet sich links eine Tankstelle, an der eine Straße abzweigt, der man unter der Autobahn hindurch folgt. Gleich danach führt rechts ein Teerweg Richtung Schwarzenberg. Mit jedem Höhenmeter hört man das Rauschen der Autobahn weniger. Der Weg schlängelt sich durch den Wald und bald schon sieht man die Häuser der Einöde Schwarzenberg. Das letzte Stück hat es aber in sich und das Rad ein Stück schieben ist auch nicht unehrenhaft. Bis zum kleinen Parkplatz Feilenreit geht es immer noch bergauf. Doch endlich oben angekommen, an der jahrhundertealten Grenze von Chiemgau und Rupertiwinkel öffnen sich grandiose Ausblicke in alle Richtungen. Freie Sicht auf den  Hochfelln und den Chiemsee mit ihrer ganzen Schönheit und auf der anderen Seite die Salzburger Berge. „Wanderer, was willst du mehr?“ Vielleicht eine flotte Abfahrt und eine Brotzeit oder ein Mittagessen.
 
Konnte man nach Traunstein die Abfahrten auch ohne  Bremsen bewältigen und auf ordentliche Geschwindigkeiten kommen, so ist dem jetzt nicht angeraten. Auch die Einkehr lässt noch ein wenig auf sich warten, weil der urige und für sein Essen lokal berühmte Holznerwirt leider 2022 geschlossen hatte. Aber die Kinder planen die Wiedereröffnung. Richtung Ferienpark Voraus führt die Straße durch ein Waldstück mit fiesen Kurven und einigen ruppigen Stellen im Asphalt an die Rote Traun. Eigentlich geht es hier rechts nach Siegsdorf und Traunstein, aber die Obstbrennerei Obermeyer und der Hammerwirt in der Ortschaft Hammer wollen auch noch besucht werden (links die Rote Traun entlang).
 
So gestärkt und ausgeruht lässt es sich leicht nach Siegsdorf auf gut beschilderten Wegen fahren. Und bergab geht es zudem. Unter dem Autobahnzubringer Siegsdorf macht der Radweg einen schönen Kreisel nach dessen Durchfahrung man am Freibad in Siegsdorf heraus kommt. Das Angebot kann man eigentlich nicht ausschlagen. Die letzten Kilometer nach Traunstein führt ein zunächst schmaler Schotterweg zwischen Traun und Landstraße durch den Wald hindurch zur Bahnstation Seiboldsdorf. Von hier folgt man dem Schweinbach entweder bis zum Volksfestplatz oder der Ausschilderung Stadtplatz.
 
Eigentlich wäre damit die Tour zu Ende. Wenn Landschaft und Literatur noch ein Regulativ oder eine Ergänzung bedürfen, sollte man DASMAXIMUM in Traunreuth nicht auslassen. Es beherbergt die Privatsammlung von Heiner Friedrich, einem der wichtigsten Galeristen der Nachkriegskunst. Dementsprechend hochkarätig ist das Museum auch bestückt. Auf ebenen, entlang der Traun führenden Radwegen lässt es sich, vorbei an Schloß Pertenstein, leicht erreichen.
 
Auch in die andere Himmelrichtung lässt sich noch einiges erleben, so man dazu noch Zeit und Lust hat. In Siegsdorf wartet neben dem Schwimmbad noch das Naturkunde- und Mammutmuseum. In Maria-Eck kann man um Beistand bitten und sich bei einer Brotzeit in Bad Adelholzen erholen oder man gönnt sich vom Hochfelln (Seilbahn) aus die unübertreffliche Rundsicht auf das Chiemgauer Land. Über die Ortschaften Bergen und Bayern (5 Ställe, 2 Häuser) gelangt man nach Grassau. Vorbei am Salinenmuseum kann man in Bernau oder Prien (Museumseisenbahn, Überfahrt nach Herrenchiemsee – Ludwig schauen) wieder den Zug für die Rückfahrt besteigen.
 
Sehenswürdigkeiten: Bergwerkmuseum Achtal, Schwarzenberg, Mammutmuseum Siegsdorf, Salinenpark Traunstein
Einkehrmöglichkeiten: Bräustüberls Hofbräuhaus Traunstein, Brauereigaststätte Schnitzlbaumer
Baden: Freibad Siegsdorf, Obstbrennerei Obermeyer Siegsdorf, Hammerwirt, Hammer

alte Grenze © Hans-Jürgen Hereth 2023